Leipzig hat als Niedrig­lohn­standort keine Zukunft

Daniela Kolbe ist seit 2009 Bundestags­abgeordnete der SPD und auch im neuen Bundes­tagswahl dabei. Wir sprachen mit ihr über die Arbeitsbedingungen bei den Automobilherstellern in Leipzig.
 

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Daniela Kolbe (Bundestagsabgeordnete der SPD)

Daniela, herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl. Die Bundeskanzlerin war in der ARD-Wahlarena überrascht zu hören, dass Kolleginnen und Kollegen auch mehr als zehn Jahre als Leiharbeiter in einem Betrieb eingesetzt werden. Wie nimmst Du die Arbeitsbedingungen in Leipzig rund um die Automobilhersteller wahr?
Ich war überrascht, dass Frau Merkel so überrascht war. Ich kannte den Fall der WISAG bereits und hatte auch schon einen Termin vereinbart, um mir von den Arbeitsbedingungen der WISAG-Mitarbeiter ein Bild machen zu können.
In der Automobilbranche nehme ich das so wahr: Wir können froh sein, dass BMW und Porsche hier vor Ort sind – aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Viel Leiharbeit, ständig befristete Verträge und schlechte Löhne gehören zu diesen Schatten. Da muss die Politik genau hinschauen. Ich freue mich als lokale Abgeordnete, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren ein größeres Selbstbewusstsein bekommen haben, dass viele in die Gewerkschaft eintreten und für bessere Bedingungen kämpfen. So sollte und wird es meiner Meinung nach auch weitergehen, da Fachkräfte Mangelware sein werden und sich die Situation massiv von der in den 90er Jahren unterscheidet. Bessere Arbeitsbedingungen lassen sich von den Beschäftigten so leichter durchsetzen.

Inwieweit haben diese überwiegend prekären Beschäftigungsverhältnisse und die niedrigen Einkommen in den Werkvertragsunternehmen Auswirkungen auf das kulturelle und soziale Leben der Leipziger?
Wir haben in Leipzig mitunter eine skurrile Situation. Große Unternehmen wurden mit sehr viel Steuergeld nach Leipzig gelockt. Trotzdem sehen wir, dass Menschen im Werkvertragsbereich und der Leiharbeit noch aufstocken müssen. Es wäre gut, wenn diese Menschen vernünftig verdienen würden, das würde Leipzig guttun. Einerseits würde der Haushalt der Stadt entlastet, andererseits hätten die Menschen die Möglichkeit, Geld auszugeben. Und es würde den Standort attraktiver machen. Im Moment ist es ja immer noch so, dass viele gut ausgebildete Leute, die beispielsweise in Leipzig studiert haben, dennoch das Weite suchen, weil sie in anderen Bundesländern mehr verdienen. Meine Aussage ist eindeutig: Leipzig hat als Niedriglohnstandort keine Zukunft. Wir müssen darauf setzen, dass wir eine kulturell attraktive Stadt sind – dazu brauchen wir vernünftige Löhne.

Was wünschst du den Beschäftigten in den Werkvertragsunternehmen?
Ich wünsche mir weniger Werkverträge. Derzeit geht es in die falsche Richtung. Ich wünsche mir eine Politik, die auf eine Regulierung von Werkverträgen hinarbeitet. Werkverträge sind in Ordnung, wenn sie gut entlohnt werden und wirklich selbstbestimmt sind. Aber es darf nicht um Lohndrückerei und Kosteneinsparung auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen. Da muss sich die Politik was einfallen lassen. Ob das in die Einschränkung der unternehmerischen Freiheit geht oder um die Stärkung des Betriebsverfassungsgesetzes – auf jeden Fall braucht es Regelungen.

Daniela, vielen Dank für das Interview.