Gelungener Abschluss der IG Metall-Themen­woche mit Günter Wallraff

Auf eine klassische Lesung hatte der Enthüllungs­journalist Günter Wallraff am Donnerstag Abend wenig Lust. »Lieber möchte ich etwas zur Lage der Nation sagen. Meine Buch kann ja jeder zu Hause lesen«. Den gut 250 Zuschauern, die am Donnerstag Abend zur letzten Veranstaltung der IG Metall-Themenwoche »Gute Arbeit – Gutes Leben« in die Schaubühne Lindenfels gekommen waren, war das offenbar recht. Jedenfalls lauschten sie aufmerksam, als Wallraff fast 2,5 Stunden über auf die Kündigung von Gewerkschaftern spezialisierte Rechtsanwälte sprach, über »die Niederungen der deutschen Arbeitswelt« und darüber, warum im Deutschen Bundestag so wenig Arbeiter sitzen.

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Darüber zu sprechen, was es heißt, prekär zu arbeiten und zu leben – das war die Idee der IG Metall-Themenwoche. Leipzig ist Boomtown und Armutshauptstadt zugleich, ein Viertel der Einwohnerschaft lebt hier unter der Armutsgrenze. »Prekäre Arbeit zieht sich längst durch alle gesellschaftlichen Bereiche«, sagte Bernd Kruppa, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig. »Wir wollten das Thema mit seinen kulturellen Aspekten verbinden.« Wann funktioniert das in Leipzig besser, als während der Buchmesse?

Carmen Losmann

Carmen Losmann

Von Montag bis Donnerstag jeweils um 19 Uhr gab es in der Schaubühne Lindenfels Filmvorführungen und Gesprächs­runden zum Thema Arbeit. Gezeigt wurden Filme von Regisseuren wie Nigel Cole (»We want sex«), Ken Loach
(»It`s a free World«) oder von der Berliner Dokumentarfilmerin Carmen Losmann. Sie stellte ihre preisgekrönte Dokumentation »Work Hard Play Hard« über moderne Managementmethoden vor.

 

Da durfte auch der Altmeister des deutschen Enthüllungs­journalismus und der Industriereportage Günter Wallraff nicht fehlen. Ob als BILD-Reporter Hans Esser in »Der Aufmacher« oder als türkischer Leiharbeiter Ali in »Ganz unten« – seit den 1960er Jahren hat er mit seinen »Undercover-Recherchen« immer wieder gesellschaftliche Missstände für ein Millionenpublikum aufgedeckt. Am Donnerstag berichtete er über Arbeitsbedingungen in Callcentern und der Fleischindustrie, im Wach- und Reinigungsgewerbe oder beim Online-Riesen Amazon. »Würde zu Schleuderpreise«, nennt Wallraff das, was er dort vorgefunden hat oder: »Arbeit im freien Fall«. Vergegenwärtigt man sich, dass die Stundenlöhnen in vielen dieser Bereiche um die vier Euro liegen, ist klar, was Wallraff damit meint.

Günter Wallraff

Günter Wallraff

 

Wallraff illustrierte seine Berichte immer wieder durch Ausschnitte aus seinen Fernsehreportagen. Etwa aus seinem »Einsatz« als Paketbote beim Logistikmulti GLS Group. Bis zu 14 Stunden am Tag wurde dort gearbeitet, sechs Tage die Woche. Die Zustände seien »kaum zu ertragen« gewesen. Der Kollege, den er begleitete, half sich mit billigen Energy Drinks aus Luxemburg und Pillen über die Schichten. Für einen anderen Kollegen, der völlig übermüdet verunglückte, endete der Arbeitsstress tödlich.

Was hat sich für den »Undercover-Reporter verändert? Heute trägt er die Kamera in der Brille oder im Knopfloch. Früher musste er sie in schweren Koffern verstecken. An neuen Geschichten besteht offenbar kein Mangel. »Jede Woche bekomme ich neue Fälle auf den Tisch.« Auf der von ihm betriebene Homepage »work-watch.de« werden viele dieser Geschichten dokumentiert.

Aber es gibt auch Erfreuliches: »Zu manchen Unternehmen gehe ich auch hin und sage: Bringen Sie das in Ordnung, dann muss ich’s nicht veröffentlichen«. Manchmal hat er Erfolg. Oder es gelingt ihm, gemobbte oder ausgebrannte Beschäftigte an andere Unternehmen zu vermitteln.

Bevollmächtigter Kruppa bezeichnete die Themenwoche, auch wenn die Teilnahmerzahl hinter den Erwartungen blieb, als »gelungenes Experiment«. Ähnliche Programme soll es auf jeden Fall in Zukunft wieder geben.

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