„Der Markt ist immer hinter einem her“ – ein Gespräch mit Carmen Losmann

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In ihrem Film „Work Hard-Play-Hard“ zeigt die Filmemacherin Carmen Losmann die moderne Bürowelt, wie sie viele Angestellte kennen. Aber nicht nur hier soll die Arbeit flexibler und persönlicher gestaltet werden. Gerade bei BMW und Porsche kennen viele gewerbliche Arbeitnehmer die Elemente der neuen Methoden des Managements. Carmen Losmann zeigt Arbeitsplätze, die nicht mehr daran erinnern sollen, dass dort gearbeitet wird, Unternehmensberater, die Potenzialanalysen von Angestellten erstellen und wie Belegschaften mit Klettertouren im Wald motiviert werden. Losmanns Film macht deutlich, dass es trotz Wohlfühl-Architektur, Teamarbeit und „flacher“ Hierarchien immer  um eins geht: Leistung, Leistung, Leistung.

F: Sie haben einen Film gedreht, in dem es nur um Arbeit geht – ein eher untypisches Thema fürs Kino. Beschäftigen sich Filmemacher zu wenig mit Arbeit? Sie macht schließlich einen Großteil unseres Lebens aus …

A: Ich hab das Gefühl, es gibt viel mehr Filme über Liebe als über Arbeit. Warum das so ist, weiß ich allerdings nicht, und ich will auch nicht spekulieren. Ich kann nur sagen, warum mich das Thema  interessiert. In meiner Zeit an der Kunsthochschule für Medien in Köln habe ich viel mit dokumentarischen Filmen beschäftigt, die sich im weitesten Sinne um Arbeit drehen. Das ist ein spannendes Feld, weil es sich als Spiegelbild unserer Gesellschaft anbietet. Wo zeigen sich gesellschaftliche Verhältnisse, wenn nicht in der Arbeit?

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F: In den Besprechungen ihres Films wurde in der Presse immer wieder der Begriff der “schönen neuen Arbeitswelt” gebraucht. Darunter stellt sich jeder etwas anderes vor. Was verbinden Sie mit dem Begriff?

A: Neue Formen und Methoden einer veränderten Kultur der Menschenführung. Das neue Management, das in den Unternehmen seit ein paar Jahrzehnten Einzug gehalten hat.

F: Können sie erklären, was daran neu ist? 

A: Neu sind die Methoden: Vertrauensarbeitszeit, lockere Anwesenheitspflicht, vielleicht gar keine Anwesenheitspflicht mehr. Die Arbeit wird nicht mehr gemäß einer Kommandostruktur organisiert, sondern in selbstorganisierten Teams und Projekten.

Die Unternehmensleitungen oder besser das Management insgesamt haben irgendwann gemerkt, dass die Menschen viel produktiver sind, wenn sie sich mit ihrer Arbeit identifizieren. Ich persönlich würde auch sagen, dass die Motivation, etwas zu tun, weil es erfüllend oder sinnvoll ist, dem Menschen  grundsätzlich viel näher liegt. Problematisch war ja, dass die Fabrikherren mit Beginn der Industrialisierung die Menschen zu etwas bringen wollten, was sie eigentlich nicht tun wollten. So entwickelte sich die Kommandostruktur, die man aus dem Militär kannte. Der Chef sagt, was zu tun ist, und wenn ich es nicht mache, werde ich bestraft. Das war die alte Arbeitsorganisation.

 

F: Die Menschen in ihrem Film vermitteln den Eindruck, dass sie keinen Rüffel vom Chef mehr brauchen, so ehrgeizig und verbissen wirken sie.

A: Die Unternehmen haben gemerkt, dass die Mitarbeitenden viel produktiver sind, wenn sie ihre Aufgaben von alleine erfüllen, weil sie es wollen. Dazu braucht es eine veränderte Unternehmenskultur, die bei den Angestellten unternehmerisches Fühlen, Denken und Handeln hervorbringt. Das sieht man im Film sehr schön. Da werden die Mitarbeitenden jeden Morgen mit den neuen Kennzahlen, mit den sogenannten Key Performance Indicators, konfrontiert. An denen können sie dann ihre eigene Leistung ablesen, die natürlich abhängig vom Markt ist. So erscheint das eigene Verhalten in direkter Beziehung zum Erfolg des Unternehmens, und keiner lässt mehr um fünf Uhr den Hammer fallen. Der Markt ist immer hinter einem her. [Anmerkung der Redaktion: Auch wenn jemand mal krank ist, müssen Ziele von der ganzen Gruppe beibehalten werden. Dadurch entsteht vor allem ein Gruppendruck: die Kolleginnen und Kollegen kontrollieren sich gegenseitig.]

F: Glauben Sie, dass der Druck größer ist als in einer konventionellen Fabrik mit Stechuhr?

A: Er ist anders. In der Fabrik droht oder drohte vielleicht die Strafe des Chefs. Für die Beschäftigten der Unternehmen im Film droht der Misserfolg am Markt. Der Erfolg oder Nichterfolg ihres Unternehmens wird direkt mit ihrer Leistung in Verbindung gebracht.

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F: Im Film kommen leitende Angestellte vor, die Potentialanalysen erstellen, es gibt Change Agents und Human Ressource Manager, die mit nichts anderem beschäftigt sind, als die Leistungsbereitschaft ihrer Beschäftigten zu erhöhen. Was machen die anders als ein klassischer Personalchef?

A: Mein Eindruck ist, dass die Mitarbeitenden vielmehr mit ihrer gesamten Persönlichkeit vermessen und geprüft werden. Die Unternehmen haben festgestellt, dass es unabhängig von der fachlichen Kompetenz eine persönliche, emotionale Kompetenz braucht, um heute Leitungsfunktionen übernehmen zu können. Jemand der im alten Kommandostil sagt, ihr müsst jetzt das oder das machen, wird nicht mehr gebraucht. Stattdessen werden charismatische Personen benötigt, die mit ihrer Ausstrahlung Leute mitnehmen können, sie “dort abholen, wo sie stehen”, wie es im Film so schön heißt. Wie gesagt, die Art, wie Menschen in Unternehmen geführt werden, hat sich verändert, anstatt des rigiden Marschbefehls braucht es ein emotionales Klima.

F: Sind Sie bei Ihren Dreharbeiten auf Leute gestoßen, die gesagt haben, das geht so nicht mehr? Die vielleicht angefangen haben, sich mit anderen zusammenzuschließen?

A: Das kann ich nicht sagen, weil sich das in den Filmarbeiten nicht ergeben hat. Wir haben ja nicht längere Zeit in den Unternehmen verbracht, sondern in der Regel nur einen Drehtag, in dem alles durchgetaktet ist und Zeitdruck herrscht. Da gibt es keine Zeit für informelle Gespräche, und da der Fokus des Films auf der Praxis des Management lag, haben wir keine Interviews etwa mit Betriebsräten gedreht.

F: Es gibt eine Szene im Callcenter. Dort erscheinen die Beschäftigten am widerständigsten, weil die Identifikation mit ihrer Arbeit offenbar nicht so stark ist, wie bei den anderen.

A: Es gibt manche dieser Störmomente im Film. Bei der Szene im Callcenter sagt eine Mitarbeiterin während des Performance-Dialogs, dass es ihr gestern besser ging, weil sie nicht hier war. Es gibt auch einen kurzen Moment, in dem eine schwarze Putzfrau mit gewissem Stolz auf ihre Arbeit in die Kamera blickt. Diese Augenblicke finde ich vor und montiere sie bewusst in den Film, um das Publikum zu irritieren und ihm den Anstoß und die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu fragen: Verläuft das alles so geschmeidig, wie es den Anschein hat? An welchen Stellen tun sich Widersprüche auf? Ist es wirklich mein ureigenes Ziel, die Profite des Unternehmens XY unter Einsatz meiner kompletten Lebenszeit zu erhöhen?

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F: Wir haben viel über Leute gehört, die arbeiten, wenn andere Freizeit machen. Wie ist das bei Ihnen? Ich kann mir vorstellen, in Ihrem Beruf ist es schwer, Arbeit und Freizeit zu trennen.

A: Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit bekomme ich auch nicht hin, aber ich sage auch nicht, dass ich das möchte. Besonders absurd wird es, wenn von  »Work-Life-Balance« gesprochen wird, so als ob mein Leben nicht während der Arbeitszeit stattfinden würde. Aber das Gegenteil ist der Fall: Meine Zeit ist mein Leben, wie der Philosoph Stephan Siemens es so klar auf den Punkt bringt. Die grundlegende Frage ist, ob ich meine Lebenszeit für die Profitgenerierung des Kapitals verbraten möchte. Dabei wird die Frage nach der Trennung zwischen Arbeit und Freizeit nur deshalb brennend, weil ich als Arbeiterin in der alten Arbeitsorganisation nach meiner begrenzten Arbeitszeit Ruhe vor dieser Logik hatte – die Grundfrage wurde durch diese Arbeitszeitbegrenzung nur abgefedert, aber nicht beantwortet.

Ich selbst als Filmschaffende wurde durch die Arbeit am Film mit der Frage konfrontiert, »wer eigentlich meine DNA programmiert hat«, um eine Phrase aus dem Film zu nehmen. Mir wurde klarer, dass der Kult des Produktivseins – also ständig am künstlerischen Output gemessen zu werden – zwar nicht dasselbe ist, wie der Profitabilitätsdruck in den Unternehmen. Aber dennoch unterwirft es das eigene Leben vollständig der Produktivität. Daraus bin ich ein Stück zurückgetreten und nehme mir bewusst mehr Zeit für anderes.